Vollmer: Kein Kampf Gut gegen Böse (Interview, Berliner Zeitung 17.09.2001)

Datum: 17.09.2001

Quelle: Berliner Zeitung

Vollmer: Keinen Kampf Gut gegen Böse

Grünen-Politikerin lehnt eine deutsche Teilnahme an militärischer Vergeltung

ab

Bundestagsvizepräsidentin Antje Vollmer (Grüne) plädiert dafür, Sorgen vor

einer militärischen Eskalation sehr ernst zu nehmen.

Viele Menschen befürchten, dass Deutschland nach den Terroranschlägen in den USA innenpolitisch aufrüstet und außenpolitisch in eine militärische Eskalation gerät. Wie gehen die regierenden Grünen mit diesen Ängsten um? Meine Generation, die den RAF Terrorismus der 70er-Jahre und die staatlichen Reaktionen darauf erlebt hat, hat da eine große Aufgabe. Wichtig ist daraus zu lernen, dass die Ängste in der Bevölkerung eine Adresse in der Regierung haben müssen. Wenn Leute sagen, wir können uns mit der Regierung nicht mehr identifizieren, sie führt nicht einmal einen Dialog über unsere Befürchtungen, dann entstehen solche katastrophalen Abbrüche. Es geht dabei vor allem um die meist jungen Leute, die befürchten, dass dieses Land Stück für Stück in eine kriegerische Situation hineingezogen wird, aus der wir nicht mehr herauskommen. Mit diesen müssen wir genau diskutieren, zumal sie wohl für die Mehrheit der Bevölkerung sprechen. Sie sagen: Wir wollen Solidarität, herzlichstes Mitgefühl mit den Amerikanern, so sehr wir nur können. Aber wir möchten die Amerikaner auch bitten, keine Strategie der Vergeltung, des Auge um Auge und der Rache zu üben und wir möchten auch als Deutsche nicht in eine solche Strategie mit eingeplant sein. Ich finde wichtig, dass sich das artikuliert, in der Gesellschaft, aber auch in den Regierungsparteien. Besteht aber nicht real die Gefahr militärischer Eskalation? Ich sehe diese Gefahr. Die Nato ermöglicht aber jedem Land eine freie Entscheidung, inwieweit es an solchen Aktionen teilnehmen will. Genau diese Freiheit gilt es zu nutzen. Dabei müssen die Europäer gemeinsam agieren, und da haben die Deutschen ein entscheidendes Mitspracherecht. Das Nächste ist, wie reagieren auf die Ängste in unserer Bevölkerung? So wie es die Zeit für Trauer, Solidarität und Erschrecken gibt, so brauchen wir auch eine Zeit der großen gesellschaftlichen Debatte: Was kann man in einem solchen Fall tun, was wollen wir in einem solchen Fall tun? Was sollte Deutschland Ihrer Meinung nach tun? Ich bin sicher, dass dieses Land keine Kämpfe des Guten gegen das Böse führen wird. Letztlich ist das die Sprache von Bin Laden. Sektiererische Islamisten führen den Krieg gegen das Böse schlechthin, das für sie Amerika ist. Das kann man nicht auf der gleichen Ebene beantworten. Unsere Strategie muss immer eine vielfältige sein. Sie muss politisch sein, sie muss nach den Ursachen fragen, sie muss die Täter genau feststellen und sie muss auch versuchen, Selbstjustiz zu unterbinden. Es gibt Berichte von Übergriffen auf Moslems in Deutschland. Was kann man tun, um das Verhältnis zu den Bürgern islamischen Glaubens vor Schaden zu bewahren? Wir müssen die religiösen Führer in einen Dialog mit der Gesellschaft nötigen, in der sie leben. Deshalb gehört zum Beispiel Islamunterricht an die öffentlichen Schulen und nicht ins Ghetto. Die Ausbildung von Islamlehrern gehört an unsere Universitäten und nicht an Spezialschulen. Nur so entsteht eine Kenntnis übereinander, aber auch Einflussnahme. Was bedeutet es für die Grüne Partei, dass sie nun noch weiter in die Anerkennung einer militärischen Logik hineingezwungen wird? Wir müssen unsere Positionen präzisieren. Was uns auf Dauer nicht bekommt, ist, wenn wir zwar laut klagen, wie es uns innerlich zerreißt, aber dann dennoch täten, was den eigenen Überzeugungen widerspricht. Dann handeln wir uns das Bild eines Verräters ein. Wir müssen möglichst genau Auskunft geben über die Lage, über die Gefahren der kriegerischen Zuspitzung. Wir müssen Auskunft geben über die Haltung, die wir im Bündnis einnehmen, was wir erreichen wollen, und wie viel Unterstützung wir brauchen in der eigenen Partei, aber auch in der Bevölkerung, um überhaupt wählen zu können und noch einen Spielraum zu haben. Dann ist Politik glaubhaft.

Das Gespräch führte Holger Schmale.

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